Ein Studium – so es nicht in Teilzeit studiert wird – ist eine Vollzeitbeschäftigung. D.h., es wird von den Studierenden erwartet, ihre komplette Arbeitszeit dem Studium zu widmen. Nebenjobs sollen dabei genau das sein, eben neben dem Studium.

Da wir in Deutschland sind, ist das natürlich alles genormt, auch wenn große Teile dieser Norm Rahmen des Bologna-Prozess auf europäischer Ebene vorgegeben sind. Dazu gehört das ECTS, das European Credit Transfer System. Die Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) hat festgelegt, dass ein Vollzeitstudium pro Jahr 45 oder 46 Wochen á 35 bis 40 Lernstunden umfasst, was mit 60 Kreditpunkten (ECTS-Punkten) angerechnet wird. Auf ein Semester gerechnet sind dies dann 30 Kreditpunkte, also 22 bis 23 Wochen, es wird also auch ein Gutteil der vorlesungsfreien Zeit, insbesondere die Prüfungszeit hinzugezählt.

Nun stellt diese Norm ja nur einen Mittelwert dar: Jeder Mensch ist unterschiedlich, der eine braucht mehr Lernzeit, der andere weniger. Jedoch stellt sich für die Lehrverantwortlichen wie mich immer die Frage, ob der für ein Fach erforderliche Zeitaufwand den wenigstens halbwegs korrekt abgeschätzt wurde.

Daher freute mich unter anderen ein Ergebnis der Evaluierung meiner Lehrveranstaltung Algorithmen und Programmierung im Wintersemester 2018/2019. Diese Lehrveranstaltung wird mit 8 ECTS-Punkten angerechnet, soll also ca. \(\frac{8}{30}=26,\overline{6}\%\) der gesamten Studienzeit im Semester „beanspruchen“. Die Frage in der oben erwähnten Evaluierung nach der für den Kurs beötigten Lernzeit pro Woche inklusive der Präsenzzeit ergab einen Mittelwert von \(9{,}12\) Stunden, also entsprechend der KMK-Norm zwischen \(22{,}8\%\) bis \(26{,}1\%\) der Gesamtlernzeit. Der tatsächliche Aufwand lag also fast genau in der Norm, bzw. nur geringfügig darunter.1 Es ist ein schönes Ergebnis, wenn der Entwurf einer Lehrveranstaltung in der Praxis auch tatsächlich funktioniert.

Ein anderes Ergebnis der Evaluierung gibt jedoch zu denken: über \(80\%\) der Studierenden beurteilten den zeitlichen Aufwand für „hoch“ oder „eher hoch“. Auch in den Freitextkommentaren finden sich Bemerkungen wie man solle doch die „ECTS Zahl entsprechend dem tatsächlich Arbeitsaufwand anpassen“. Dies zeigt, dass vielen Studierenden nicht die Anforderungen klar sind, die ein Studium an sie stellt. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig.


  1. Wenn man davon ausgeht, dass während der Prüfungszeit kurzfristig ein höherer wöchentlicher Arbeitaufwand entsteht, kann die Norm als gut erfüllt angesehen werden. 


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